Wir, drei Frauen im besten Alter, wollten einen Selbstverteidigungskurs belegen. Aber welcher Kampfsport sollte es werden? Nach einiger Recherche über WingTsun, Krav Maga, Ninjutsu und auch Ju-Jutsu machten wir uns auf die Suche nach einem für uns passenden Dojo. Aber das war nicht ganz so einfach. Von Zwölferkarten und Wochenendseminaren war alles vertreten, aber wir wollten etwas Konstantes, Persönliches, eben eher einen Verein. So sind wir auf den TuS Holle-Grasdorf gestoßen, zumal dort die Trainingszeiten nicht mit unseren Arbeitszeiten kollidieren.
Nach einem sehr netten ersten E-Mail-Kontakt mit Christiane, Ihres Zeichens Trainerin beim Ju-Jutsu, zur Vereinbarung eines Probetrainings, was jederzeit auch dienstags im Ninjutsu mit Tim stattfindet, ging es dann endlich los. Wir würden lügen, wenn wir sagen würden, dass wir nicht aufgeregt gewesen wären. Sahen wir uns in Gedanken schon lauter jungen, durchtrainierten Menschen gegenüber, mit denen wir vielleicht nicht mithalten konnten. Es gibt schließlich Dinge, die im Kopf großartig klingen aber sich im echten Leben eher nach einer Mischung aus Muskelkater und Demut anfühlen.
Nachdem wir an unserem ersten Abend von einer anderen Teilnehmerin aufgelesen und in die Umkleidekabine mitgenommen wurden, haben wir dort bereits ein freundliches Miteinander spüren können und wurden direkt in die Gespräche einbezogen.
Die anderen Mitglieder? Eine bunte Mischung aus Anfängern wie uns und Fortgeschrittenen, die bereits mit einer Aura der unerschütterlichen Gelassenheit in schneeweißen Gis und bunten Gürteln durch die Halle schwebten. Und auch unsere Sorge, das Durchschnittsalter in die Höhe schnellen zu lassen, war absolut unbegründet. Wir haben uns sofort wohl gefühlt, auch wenn der Magen vor Aufregung noch etwas wackelte. Aber die Herzlichkeit und das Miteinander der anderen Teilnehmer haben uns gezeigt, dass unsere Entscheidung die Richtige war.
Nachdem wir uns traditionell vor dem Betreten des Dojos verneigt haben, um den Ort des Lernens zu respektieren und alle Alltagsprobleme außen vor zu lassen, standen wir nun voller Erwartung endlich auf der Matte.
Mit positiver Anspannung haben wir uns gegenüber dem Sensei (Meister/Lehrer) aufgestellt, wobei wir uns an den anderen Schülern orientieren konnten und Hilfestellung bekamen. Es folgte das Angrüßen. Wer glaubt, Kampfkünste beginnen mit einem Schlag, liegt schon in diesem Moment daneben. Alles folgt einem bestimmten traditionellen Ablauf und ist mehr als nur eine Geste. Es ist Ausdruck von Respekt, Achtsamkeit und Gemeinschaft, sowie der Konzentration auf das folgende Training und um Wertschätzung für unsere Trainingspartner und Lehrer zu zeigen. Das Angrüßen ist dabei in mehrere Teile untergliedert. Der Lehrer gibt das Zeichen, sich in die traditionelle japanische Sitzhaltung (Seiza) zu begeben. Beginnend mit dem höchst graduierten Schüler setzen sich alle der Reihe nach ab.
Sobald alle sitzen, leitet der Lehrer eine kurze Meditation ein: „Mokuso“. Es bedeutet so viel wie „ruhiges Denken“. Mit geschlossenen Augen liegen die Hände entspannt im Schoß, der Atem wird ruhig. Mit den Worten „Mokuso yame“ oder kurz „Yame“ beendet der Lehrer die Meditation. Im Ju-Jutsu wird nun der Gruß “ni rei” an den Lehrer ausgeführt, wobei die Hände flach vor den Körper auf den Boden gelegt werden und der Oberkörper nach vorn gebeugt wird. Im Ninpo (Ninjutsu) werden die Arme nach vorn ausgestreckt und zweimal in die Hände geklatscht. Anschließend werden alle Schüler zum Aufstehen aufgefordert und mit einer nochmaligen Verbeugung zum Lehrer ist das Angrüßen beendet.
Nach dem Aufwärmen, was uns bereits einiges abverlangte, waren wir doch in letzter Zeit eher zu Sportmuffeln mutiert, kam die erste Technik: Fallen lernen! Klingt einfach? Weit gefehlt. Denn es geht um kontrolliertes Fallen, Körperspannung und die Einsicht: “Die Matte ist dein Freund”. Und entgegen unserer Annahme, als “Neulinge” erst einmal separiert zu werden, um den Trainingsablauf nicht zu stören, wurde uns eine erfahrene Schülerin zur Seite gestellt. So konnten wir sofort mitmachen und im Folgenden unseren ersten Abwehrblock erlernen und mit gezielten Griffen unser Gegenüber auf die Matte bringen. Die Trainerin Christiane nahm sich wirklich Zeit für uns und mit viel Geduld korrigierte sie immer wieder. Jeder Griff, jeder Hebel wurde langsam angesetzt und erklärt, jedes auf den Boden bringen mit einer Nachfrage “Alles gut?” und einem Aufhelfen quittiert. Gerade dieser respektvolle Umgang miteinander hat uns beeindruckt. Es geht nicht um rohe Gewalt, oder darum, sich zu beweisen. Jeder war und ist bereit, sein Wissen zu teilen, zu helfen und sich gegenseitig zu fordern und zu respektieren.
Das sorgte gleich für ein tolles Zusammengehörigkeitsgefühl und ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Mit den erfahrenen Kämpfern zusammen trainieren zu dürfen, übt eine gewisse Faszination aus und fördert den Ehrgeiz, ebenfalls diese Trainingsfortschritte zu erreichen. Schneller als gedacht war die erste Stunde im Ju-Jutsu auch schon vorbei und nach dem Abgrüßen und trotz des erahnten Muskelkaters stand für uns fest:
Das ist es! Das wollen und werden wir auf jeden Fall weitermachen.
Und wäre die Entscheidung nicht bereits nach dieser Stunde gefallen, dann spätestens mit der ersten Stunde Ninpo bei Tim. Ninpo unterscheidet sich etwas vom Ju-Jutsu, da hier auch Fußkampf und gegenüber dem Ju-Jutsu, das den Kampf mit Stock, Messer und anderen beweglichen Waffen (Kette, Seil) beinhaltet, weitere Waffen eingesetzt werden, z.B. der längere Holzstab Hanbo, der lange Stab Bo sowie Schwerter. Wie auch im Ju-Jutsu werden Druckpunkte am Körper des Gegners gezielt eingesetzt, um den Kampf schneller zu beenden. Während Ju-Jutsu sich auf direkte Selbstverteidigungstechniken und Nahkampf konzentriert und die Kraft des Gegners nutzt, ist Ninpo eine vielschichtige Kunst des Überlebens mit der Strategie der Täuschung, Verwirrung und Umgehung und hat somit andere Schwerpunkte im Training. Man könnte sagen, Ju-Jutsu ist Schach auf der Matte, Ninjutsu ein guter Thriller im Wald.
Das Ninpo Training mit Tim ist genauso herzlich, anstrengend, lehrreich und begeisternd wie die Ju-Jutsu-Stunden mit Christiane. Wie schon fast zu erwarten, konnten wir uns natürlich nicht nur für eine der beiden Sportarten entscheiden und so war es für uns auch nicht überraschend, viele bekannte Gesichter vom Ju-Jutsu auch beim Ninpo anzutreffen. Man merkt beiden Trainern an, dass sie ihre Sportarten mit Leidenschaft ausüben und Geduld und tiefes Wissen mitbringen. Und obwohl viele Kämpfer der Gruppe sich gerade auf Ihre Gürtelprüfungen vorbereiten, ist unser Anfänger-Training nicht weniger intensiv oder unbeobachtet durch die Trainer. Sie sind geduldig, kompetent und erklären selbst die vermeintlich einfachsten Übungen immer wieder mit unerschütterlicher Geduld. Wenn Gruppen eingeteilt und Übungen erklärt werden, stehen die Trainer allen zur Seite, um Haltung, Griffe und Verteidigung zu verbessern und zu loben. Niemand wird sich selbst überlassen. Uns wird zwar immer noch etwas schwindelig bei den japanischen Begriffen, aber es ist auch noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Fazit
Nach unserem ersten Training waren wir erschöpft, verschwitzt aber unfassbar glücklich. Ju-Jutsu und auch Ninpo sind nicht nur Kampfsportarten, sondern auch eine Lektion in Geduld, Disziplin und Demut vor der eigenen Unbeholfenheit. Wer Lust hat, sich selbst herauszufordern und dabei eine tolle Gemeinschaft kennenzulernen, sollte einfach mal reinschauen und eigene Erfahrungen sammeln. Aber Vorsicht, auch wenn jeder Muskel weh tut, erliegen die Meisten der Wiederholungsgefahr.
Inzwischen schweben wir nach sechs Wochen ebenfalls in weißen Gis und weißen Gurten über die Matte, unsere Rollen gleichen nicht mehr so sehr einem unrunden Plumpsen, unsere Stürze wirken kontrollierter, unsere Blocktechniken werden präziser, unsere Kamae (Kampfstellung) stabiler und unser Verständnis für diese Sportarten wächst mit jedem Training. Natürlich braucht es noch viel Zeit, um besser zu werden und wirklich alles fehlerfrei auszuführen. Aber wir sind geduldig und freuen uns auf weitere Herausforderungen und jede einzelne weitere Stunde.
Tanja, Kathrin und Melanie



